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Kurt Brand
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"Wollense mal 'nen Uhu sehen?"
Erinnerungen an Kurt Brand

von Werner Kurt Giesa


"Der Kurt Brand ist noch lange nicht tot. Der lebt noch, und wie!" sagte er damals, als der BASTEI-Verlag in drei Taschenbüchern sechs seiner Weltraumreporter Yal-Romane neu auflegte. Gemütlich zurückgelehnt saß er bei mir im Wohnzimmer auf dem Sofa und strahlte uns alle an. Dabei hatte er zu diesem Zeitpunkt - Anfang der 80er Jahre - schon annähernd aufgehört, zu schreiben und genoß sein "Rentnerdasein" in seiner Wahlheimat Kaltern in Südtirol.
Wenn ich von meinem Schreibtisch zu seinem darüber hängenden Bild blicke, scheint er mir zuzuzwinkern, und ich sehe uns wieder endlose schöne Abende zusammenhocken und plaudern, mal bei uns in Deutschland, mal bei ihm und Maria in Kaltern, und auch wenn das jetzt schon eine halbe Ewigkeit zurückliegt, scheinen mir kaum ein paar Tage vergangen zu sein.
Ich lernte ihn 1980 in Mannheim kennen, beim damaligen Perry Rhodan-Weltcon. Natürlich standen wir schon lange vorher in Briefkontakt, aber hier trafen wir zum ersten Mal 'richtig' aufeinander.
Rasch wurde der Kontakt zwischen uns intensiver. Er kam zu mir zu Besuch, brachte seine Lebensgefährtin Maria und ihre Tochter Doris mit, und plötzlich waren wir per Du. Eine Freundschaft entstand, die immer herzlicher wurde.

Er war ein ehrlicher Freund, der auch nicht davor zurückschreckte, mal ein paar harte Worte fallen zu lassen, wenn's sein mußte. Und er war ein Mann, der die in unserer Branche ("in der jeder des anderen Beinchensteller ist", wie er sich auszudrücken pflegte) leider oft üblichen Intrigenspielchen nicht mitmachte. Diese Ehrlichkeit hat ihn eine Menge gekostet, aber das war es ihm wohl wert.
Als wir - Hans Klipp, mein Freund und Kollege Rolf Michael, dessen Bruder Peter und ich - ihn zum ersten Mal in Südtirol besuchten, waren wir die Nacht über gefahren, hatten an der italienischen Grenze noch ein vergnügliches Erlebnis mit einem Zöllner gehabt, der Lackfarbe abschmeckte und seither wohl mit kupfermetallicschimmernder Zunge seine Briefmarken anleckt, und trafen frühmorgens in Kaltern ein. Während Rolf und Hans Matratzenhorchdienst machten, waren Peter und ich noch zu wach, und so überlegten wir, Kurt schon einen morgendlichen Überraschungsbesuch abzustatten. "Besser nicht, Schriftsteller schlafen morgens lange, also stören wir ihn lieber nicht", meinte Peter mit einem süffisanten Seitenblick auf mich. Also marschierten wir hinunter in die Ortsmitte, um uns das Touristikzentrum anzusehen. Ahnungslos schlenderten wir zwischen den zahllosen Kneipen die Hauptstraße entlang, als hinter uns plötzlich eine Tür aufflog, ein humanoider Uhu mit den Armen fuchtelnd herausgeschossen kam und rief: "He, ihr kennt wohl auch keinen mehr, wie? Einfach so vorbeizulaufen... kommt 'rein!"
Habe ich eben was von einem humanoiden Uhu geschrieben? Diesen Insider-Spitznamen hat er sich damals beim Rhodan-Con in Mannheim geholt. Sonntag morgens erschien er am Frühstückstisch vor versammeltem Kollegium: "Wollense mal 'nen Uhu sehen? 'nen richtigen Uhu, aber einen, der nicht eingesperrt ist, sondern frei 'rumläuft?" Natürlich wollten wir. Erwartungsvoll starrten wir ihn an. Er griff in die Tasche und zog ein großes Schwarzweißfoto hervor. "Das haben die Fans gestern von mir geschossen und in der Nacht im eigenen Labor entwickelt, um es mir heute früh in die Hand zu drücken. Na, sieht er nicht wie ein Uhu aus, der Kerl?" Wer hätte da Widerspruch äußern mögen, ob der frappierenden Ähnlichkeit? Zu einem seiner Geburtstage schenkten wir ihm dann einen holzgeschnitzten Uhu mit Kurt Brand-Kopf, der seinen Platz auf Kurts Schreibtisch fand.
Nun, wir lernten Kurts und Marias Gastfreundschaft und Kochkünste kennen und schätzen; ich kann mir nicht vorstellen, daß jemals ein Gast diese Wohnung auch nur halbwegs hungrig verlassen hat. Es wurde meist spät in der Nacht; erfreulicherweise ging es von Brands Domizil zu unseren Quartieren stets bergab, so daß der Heimweg notfalls rollend zurückgelegt werden konnte.
Wir sind oft in Kaltern gewesen, haben seinen spannend erzählten Erinnerungen, Anekdoten und Schwänken gelauscht (seitdem weiß ich, wie man eine volle Regenwassertonne zur Explosion bringt). Ich habe immer darauf gewartet, ob er seinen Plan verwirklichte, den auf halber Hanghöhe gelegenen Dorfbrunnen mit einigen Packungen Waschpulver zu befüllen; allein die Vorstellung, daß Hunderte Kubikmeter Seifenschaum das ganze darunter gelegene Kaltern samt allen Touristen unter sich begrüben, ist eine "Feuerzangenbowle" wert.

Aber Kurt war nicht nur für Schwänke und Streiche gut. Wenn ich Informationen oder Tips brauchte - ein Anruf genügte, und Kurt gab sie mir. Er war nicht nur eine Auskunftei auf Beinen ("Kurt, du hast doch Altgriechisch gelernt. Mein Redakteur hat da eine ganz verrückte Raumschiff-Form erfunden, wie heißt dieses Ding nun wissenschaftlich, das wie ein Ball aus regelmäßigen Fünfecken zusammengesetzt ist?" - "Pentagondodekaeder!" kam's wie aus der Pistole geschossen), sondern er kniete sich auch wesentlich tiefer hinein.
Einmal hatte ich ein Romanthema, das den Zwergenkönig Laurin und sein Reich behandelte. "Kurt, der olle Laurin soll doch bei euch in der Gegend seinen Wohnsitz gehabt haben. Weißt du da was, was nicht in meinen schlauen Büchern steht?" Eine halbe Stunde später rief er zurück; er hatte recherchiert und sprudelte mir zum Mitschreiben eine Fülle von Informationen durchs Telefon entgegen, genaue Beschreibungen, Details, die tatsächlich nicht in meinen Büchern standen; und zwei Tage später - gelobt sei die italienische Post, die weit besser als ihr Ruf und die deutsche Post ist - kam das Ganze noch einmal schriftlich als Paket. Und selten hat es mir so viel Spaß gemacht, einen Roman zu schreiben, wie damals.

Als Weltenbummler war er überall zu Hause, aber auch ständig überall unterwegs. Er war ein sehr aufmerksamer Beobachter, fand raschen Kontakt zu Land und Leuten, entdeckte allerorts verborgene Schönheiten (womit nicht nur die Bauchtänzerin gemeint ist, mit der er nach ihrem Auftritt bei der Geburtstagsfeier eines gemeinsamen Freundes ein flottes Tänzchen wagte, um sich danach über ihren "eiskalten Bauchnabel" zu amüsieren, sondern auch landschaftliche Schönheiten); er hatte Freunde und Bekannte in Holland, Frankreich, Deutschland, Italien, Ungarn - wo er regelmäßig Urlaub zu machen pflegte und später oft genug auch in ungarischer Tracht auftrat -, und er fand an allen Orten, die er mehr als einmal aufsuchte, rasch ein Stammlokal, in dem er immer wieder einkehrte und die örtlichen Spezialitäten zu genießen pflegte. Hier ein besonderer Wein, da eine spezielle Wurstsorte, dort ein seltenes regionales Rezept... und kaum war er zum zweiten Mal bei uns in Altenstadt, kannte er sich schon besser aus als ich, der ich nun schon seit geraumer Zeit dort wohnte, und erzählte mir, bei wem's die beste hausgemachte Wurst und Schinken gab.

Im August 1991 habe ich Kurt zum letzten Mal gesehen. Er war noch relativ gut dabei, hatte noch einmal einen glanzvollen Auftritt und konnte es mit glänzenden Augen genießen, daß seine Fans ihn immer noch nicht vergessen haben, obgleich er schon seit Jahren nicht mehr schrieb. Damals hoffte ich noch, er würde noch ein Jahr durchhalten, zumindest aber bis zum Mai. Ich hätte ihm die '75' von ganzem Herzen gegönnt. Aber schon knapp zehn Wochen später, viel früher als erwartet, kam der Anruf, daß es zu Ende gehe. Die letzten Worte, die ich am Telefon von ihm hörte, waren: "Abfahrt - Ende der Straße." Abermals eine Woche später war er dann tot.

Er war nie pflegeleicht, er war ein Mensch mit Ecken und Kanten, aber wenn man ihn zu nehmen wußte, war er ein prachtvoller Bursche. Ich habe ihn verflixt gern gehabt, den alten Uhu, ohne den ich vielleicht nicht dort wäre, wo ich jetzt bin. Er war mein Freund.
Am 10. September 1988 machte Manfred Rückert mit ihm ein Interview, aus dem später einige Kleinigkeiten nicht veröffentlicht wurden, darunter eine Antwort, die recht makaber erscheint. "Was wünschst du dir persönlich für deine Zukunft?" Kurt antwortete: "Ich möchte umfallen und tot sein - und keiner soll hinter mir her weinen."
In seinen Romanen und in der Erinnerung derer, die ihn kannten und schätzten, lebt er weiter. "Der Kurt Brand ist noch lange nicht tot. Der lebt noch, und wie!"
 
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