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Fünf vor zwölf (2)
von Uwe Helmut Grave
Erster Teil – Zweiter Teil
"Eine Tarnvorrichtung, die sie an Bord ihrer Schiffe unsichtbar
macht? Nein, davon weiß ich nichts. Keine Bange, dort drüben
gibt es keine Giants. Sie wurden restlos vernichtet."
Hoffe ich jedenfalls, fügte McGraves in Gedanken hinzu.
Giants - Bestien. Ein Ausspruch, der innerhalb der Raumflotte und später
auf ganz Terra die Runde gemacht hatte.
Roy Vegas kannte ihn nicht. Aber er wußte, wie die Bestien einst ausgesehen
hatten. Auf eine Begegnung mit den abnormen vierarmigen Echsengestalten konnte
er getrost verzichten.
Er überlegte, ob er Befehl geben sollte, den unheimlichen Raumer abzuschießen,
verwarf diesen Gedanken jedoch gleich wieder. Bulton hätte ihn glattweg
vom Dienst suspendiert, und vom Staat wäre er auf Schadenersatz verklagt
worden.
McGraves schlug die einzig mögliche Alternative vor. "Wir sollten
einen Erkundungstrupp rüberschicken, das Schiff in Besitz nehmen und es
zur Erde bringen."
"Und falls sich doch Giants an Bord befinden?" gab Vegas zu bedenken. "Oder
aufs Töten programmierte Roboter? Wir dürfen nicht das Leben unschuldiger
Soldaten aufs Spiel setzen."
Order von höherer Stelle konnte er sich keine holen. Die Funkverbindung
zur Erde war ausgerechnet jetzt katastrophaler denn je.
"Versuchen Sie unablässig, die Verbindung mit Bulton herzustellen",
gab Vegas seinem Funkoffizier Anweisung. "Vielleicht funktionieren die Funkkanäle
derzeit nur in eine Richtung und man hört uns auf Terra. Berichten Sie,
was geschehen ist und was ich vorhabe."
"Was haben Sie denn vor?" erkundigte sich der Funker.
"Wir koppeln die SPECTRAL an den fremden Raumer an, und ich gehe dann allein
hinüber in die Höhle des Löwen", verriet ihm der Captain. "Ich
weiß zwar nicht, wie das heutzutage gehandhabt wird, aber zu meiner Zeit
galt es als Selbstverständlichkeit, daß der Kapitän eines Schiffes
in vorderster Front kämpft."
*
Vegas vernahm hinter sich das schmatzende Geräusch der sich schließenden
Schleuse und machte sich auf ins Ungewisse.
Der unbekannte Kugelraumer war bis in den letzten Winkel hell erleuchtet. Auch
die Antigravschächte waren in Betrieb.
Das Ziel des ungebetenen Eindringlings war die Kommandozentrale, die vermutlich
an derselben Stelle lag wie die der SPECTRAL. Vegas stand mit dem Patrouillenraumer
in ständigem Bild- und Funkkontakt. McGraves und die übrigen Offiziere
verfolgten jeden seiner Schritte am Bildschirm der "Geschäftsetage" mit. Über
die kurze Entfernung hinweg machten sich die magnetischen Störungen nicht
bemerkbar.
Die leeren, vierärmeligen Uniformen und den seltsam gefärbten Staub,
der sich in manchen Durchgängen und Tunneln verstreute, beachtete Vegas
nicht. Darauf hatte man ihn vorbereitet. Zweifelsfrei handelte es sich dabei
um die sterblichen Überreste der früheren Schiffsinhaber.
Daß er einem lebenden Giant begegnen würde, damit rechnete Vegas
nicht ernsthaft. Und falls doch, würde er den Translator aktivieren und
versuchen, sich friedlich mit ihm zu verständigen. Wenn er noch dazu kam
Auch in der Kommandozentrale stieß Vegas auf Giantuniformen und Staub
- sowie auf vereinzelte Skelette, die in Uniformen anderer Völker steckten.
Offensichtlich hatten noch mehr Personen versucht, dieses Schiff nach dem Ableben
der Giants in Besitz zu nehmen, was ihnen schlecht bekommen war.
Der übelste Fund war der halbverfaulte, riesenhafte Leichnam eines Rateken.
Um ans Schaltpult zu gelangen, mußte Vegas ihn wegtragen.
"Das könnte ich nicht", gab McGraves zu und schüttelte sich
vor dem Bildschirm. "Dort drüben muß es stinken wie auf einem
Bahnhofsklo."
"Die Geruchsbelastung der Luft stellt kein Problem dar", vernahm er
Vegas durch den Lautsprecher.
Der schaute sich genauestens die Kontrollen an. Ohne Schwierigkeiten fand er
sich mit der fremden Technik zurecht. Langsam streckte er die Hand aus, um
den Bordcomputer mit neuen Befehlen zu programmieren.
"Nichts anfassen!" rief Chester McGraves aufgeregt. "Die Toten
in der Zentrale verheißen nichts Gutes. Vermutlich existiert irgendwo eine
versteckte Strahlenwaffe, die sich aktiviert, sobald jemand am Schaltpult herumfingert."
Der Funkoffizier wollte ihm etwas sagen, doch McGraves winkte energisch ab.
"Jetzt nicht! Sie sehen doch, daß wir beschäftigt sind."
Derweil nahm Vegas den Computer der Giants näher unter die Lupe, ohne
ihn zu berühren. Dabei machte er eine erschreckende Entdeckung.
"Die nächste Nottransition findet in umgerechnet fünf Minuten
statt, also exakt um zwölf Uhr", teilte er dem Ersten Offizier der
SPECTRAL mit. "Soll ich versuchen, den Vorgang abzubrechen?"
McGraves war dagegen. "Auf gar keinen Fall! Pfoten weg von allen Hebeln
und Knöpfen, Vegas, und nichts wie raus aus dem Totenschiff!"
Auf dem kürzesten Weg begab sich Vegas zur Ausgangsschleuse.
Sie war fest verschlossen und ließ sich nicht mehr öffnen.
"Scheiße!" fluchte der Erste. "Das Schiff ist die reinste
Mausefalle. Wer einmal drin ist, kommt nie mehr raus. Uns bleibt keine Zeit mehr,
die Schleuse aufzuschweißen. Wir müssen die SPECTRAL sofort abkoppeln,
sonst werden wir bei der Transition womöglich mitgerissen."
"Und was geschieht mit Vegas?" fragte ihn einer der Brückenoffiziere.
"Manchmal muß man halt Opfer bringen", erwiderte der Stellvertreter
des Captains, der keinen Hehl daraus machte, daß er selbst gern Kommandeur
der SPECTRAL geworden wäre.
Vegas hatte nichts mehr zu verlieren. Er beeilte sich, zurück in die Zentrale
zu kommen. Vielleicht gelang es ihm irgendwie, das Schiff unter seine Kontrolle
zu bringen.
McGraves leitete die Notabkoppelung ein und brachte so viele Kilometer wie
möglich zwischen sich und das gespenstische Giantschiff.
Noch bevor Vegas in der von Toten übersäten Kommandozentrale eintraf,
wechselte der fremde Raumer blitzartig seinen Standort. Das Ziel der erneuten
Nottransition war unbekannt.
Auf der SPECTRAL erlosch die Bildschirmanzeige. Die Verbindung zu Vegas brach
abrupt ab.
*
"Das gibt gewaltigen Ärger mit Marschall Bulton", befürchtete
der Funkoffizier der SPECTRAL. "Apropos
"
"Ich weiß, ich weiß", seufzte Chester McGraves. "Er
regt sich über jeden verschwendeten Dollar auf, als wäre er der Finanzminister
persönlich. Mir ist durchaus bekannt, wie es um den Wehretat bestellt ist,
doch wo gehobelt wird, da fallen nun mal Späne. Vielleicht gelingt es Vegas
ja, das Schauerschiff zu übernehmen und damit nach Terra zu fliegen. Wahrscheinlicher
ist jedoch, daß ihn ein Strahlengewitter von den Füßen reißt,
kaum daß er das Schaltpult des Bordcomputers berührt."
"Besser er als ich", meldete sich Roy Vegas zu Wort, der die ganze
Unternehmung von seinem Kapitänssessel aus schweigend mitangesehen hatte.
Er hatte es seinem Ersten überlassen, die Dinge in die Hand zu nehmen,
und sich darauf beschränkt, Chester McGraves und die anderen Offiziere
in Aktion zu beobachten. Auf diese Weise konnte er die oberste Riege seiner
Besatzung am besten kennenlernen.
Roy hatte nichts zu beanstanden. Jeder auf der Brücke hatte seinen Job
getan. Darüber hinaus hatte Chester ihm das Leben gerettet - zumindest
indirekt.
"Hätten Sie mir mein Vorhaben, allein auf die fremde Sternschnuppe
hinüberzuwechseln, nicht so konsequent ausgeredet, wäre ich jetzt an
Vegas' Stelle", bedankte er sich bei seinem I.O. "Der gute Theodore
weiß gar nicht, was er an Ihnen hat, Chester, sonst hätte er Ihnen
längst das Kommando eines eigenen Raumschiffs übertragen."
"Apropos!" machte sich der Funkoffizier aufs neue bemerkbar, diesmal
mit mehr Nachdruck. "Marschall Ted Bulton befindet sich bereits seit geraumer
Weile auf Empfang. Die Störungen werden allerdings wieder stärker,
die Funkverbindung könnte jeden Moment aufs neue zusammenbrechen."
"Wie lange hört er uns schon zu?" fragte Roy Vegas, obwohl er
die Antwort eigentlich gar nicht wissen wollte.
"Seit Vegas die Erwähnung machte, daß gleich eine Nottransition
stattfinden wird", antwortete ihm der Marschall höchstpersönlich. "Da
war es fünf vor zwölf, wenn ich nicht irre."
Der Funkoffizier hatte ihn ausreichend über die aktuellen Vorkommnisse
unterrichtet. Alles weitere hatte er direkt als Zuhörer miterlebt.
Bulton machte niemandem Vorwürfe. "Machen Sie sich wegen des verlorenen
Roboters keine Gedanken, Chester. Besser einer der Blechmänner segnet
das Zeitliche als Ihr Schiffsführer. Ich hoffe, Sie denken über Ihren
Leichtsinn nach, Captain, und ziehen Ihre Lehren daraus. In den vergangenen
siebenundvierzig Jahren hat sich viel geändert, auch beim Militär.
Heldentum ist nicht mehr so sehr gefragt. Angesichts unserer vielfältigen
Kontakte zu außerirdischen Völkern, setzen wir verstärkt auf
Vernunft, Verhandlungsgeschick und Teamarbeit. Also keine Alleingänge
in Zukunft, verstanden?"
"Verstanden, Sir!" entgegnete Roy Vegas betont zackig, heilfroh, daß Bulton
den "guten Theodore" offenbar überhört hatte.
"Ich hatte Sie ja schon darauf hingewiesen, daß die Jungs hin und
wieder zu Späßen aufgelegt sind und den Arbeitsrobotern Namen von
amerikanischen Städten verpaßt haben", sagte Bulton zu Vegas. "Miami,
Washington, Denver
ist es nicht ein seltsamer Zufall, daß ausgerechnet
Las Vegas unter Ihrem Kommando als erster von Bord gehen mußte?"
"Er war wie ein Bruder für mich", scherzte Roy Vegas. "Hier
an Bord wurde er übrigens nur bei seinem Nachnamen gerufen. Möglicherweise
hätte das irgendwann zu bösen Verwechslungen mit mir geführt."
"Ich freue mich, daß Sie Ihren Humor nicht verloren haben", erwiderte
der Marschall. "Dann wird es Sie sicherlich freuen, daß Sie den Rückflug
nach Cent Field antreten dürfen. Die Mannschaft der SPECTRAL bekommt ein
paar Stunden Kurzurlaub, bevor es wieder zurück ins All geht."
Roy bedankte sich, war aber ein wenig verblüfft. "Wie kommen wir
zu der unverhofften Ehre?"
"Ich beordere Sie nicht ohne Grund zurück zur Erde", informierte
ihn der oberste Flottenkommandant. "Sie werden auf dem Hafen von Alamo Gordo
einen Passagier der LION übernehmen. Minister Giraud freut sich bereits
darauf, einige Zeit auf der SPECTRAL mitfliegen zu dürfen. Seine klugen
Ratschläge werden eine ungeheure Bereicherung für Sie sein, Captain."
Vegas stieß einen unhörbaren Seufzer aus und dachte: Er hat verdammt
gute Ohren!
"Haben Sie eine Erklärung für
?" setzte Ted Bulton an.
Es knackte und fiepte im Funkkanal, und seine Stimme wurde leiser. Die Störungen
machten sich erneut bemerkbar, die Verbindung brach vollständig zusammen.
Der Funkoffizier bemühte sich vergebens, sie wiederherzustellen.
"Nein, wir haben keine Erklärung für das plötzliche Auftauchen
der galaktischen Mausefalle", beantwortete Roy Vegas die unausgesprochene
Frage des Marschalls, obwohl der ihn längst nicht mehr hören konnte. "Oder
haben Sie eine, McGraves?"
"Ich habe schon damals nicht verstanden, was in den kranken Hirnen dieser
grausamen Bestien vorging", erwiderte der I.O., "und daran hat sich
bis heute nichts geändert. Ein Raumschiff so zu programmieren, daß es
zur Todesfalle für jedes Lebewesen wird, das es betritt, ist mehr als pervers.
Wahrscheinlich betrachteten sie das Ganze als eine Art Spiel, bei dem die Auswahl
der Kandidaten nach dem Zufallsprinzip erfolgt. Durch die sporadische Aktivierung
des Nottransitionsschalters erscheint das Schiff mal hier, mal da
"
"Sie glauben, die Giants haben den Kugelraumer absichtlich manipuliert?" unterbrach
Roy ihn und zog seine Stirn in Falten. "Diese Theorie halte ich für
ziemlich weit hergeholt. Immerhin wurden auf dem Schiff auch Überreste toter
Giants gefunden - die gesamte Besatzung."
"Das besagt überhaupt nichts. Vielleicht haben die Bestien ihr nahendes
Ende gespürt und wollten den verhaßten Menschen noch ein letztes Geschenk zurücklassen.
Daß es auch andere Rassen innerhalb der Milchstraße erwischen würde,
war ihnen in ihrem verblendeten Zorn egal."
"Meinen Informationen nach trat ihre kollektive Vernichtung von einer Sekunde
auf die andere ein, völlig überraschend also. Demnach blieb ihnen gar
keine Zeit mehr, einen derart gemeinen Plan auszuhecken und in die Tat umzusetzen.
Ich vermute eher, daß sich das führungslose Raumschiff irgendwie selbst
programmiert hat, aufgrund eines Schaltfehlers oder einer Beschädigung.
Vielleicht hängt das irgendwie mit dem kosmischen Blitz zusammen, der seinerzeit
die erste galaktische Katastrophe auslöste."
"Halte ich für genauso weit hergeholt", entgegnete McGraves.
Auf dem Rückflug zur Erde wurde in der "Geschäftsetage" noch
lange über dieses Thema diskutiert. Theorien gab es jede Menge, doch eine
logische Erklärung hatte niemand in der Zentrale parat. Fest stand nur
eines: Irgendwo im Nirgendwo sprang ein ehemaliges Giantraumschiff wie ein
durchgedrehter Gummiball kreuz und quer durch die Galaxis, immer auf der Suche
nach neuen Opfern. Alle Völker mußten davor gewarnt und zum Abschießen
des Objekts aufgefordert werden.
Zuvor gab es in der Milchstraße allerdings ein schlimmeres Problem zu
lösen, eines, das gleich zwei Galaxien betraf.
Chester McGraves war nicht entgangen, daß Roy Vegas von "der ersten
galaktischen Katastrophe" gesprochen hatte. Stand seiner Überzeugung
nach die zweite unmittelbar bevor?
Die ganze Welt blickte jetzt auf Terra und Ren Dhark und wünschte ihm
und all seinen mutigen Begleitern viel Erfolg bei einer Mission, die hoffentlich
nicht zu einer Reise ohne Wiederkehr werden würde.
Ende
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